Richard Estes’ Central Savings (1975) ist eins der wichtigsten Werke des sogenannten Fotorealismus, einer Ende der 1960er Jahre entstandenen und vor allem in den USA beheimateten Stilrichtung der Malerei. Konstitutiv dafür ist die Mimikry fotografischer Optik; gemalt wurde nach Abzügen von Fotos. Damit wird die Geste der Kunstfotografie umgekehrt, die im ausgehenden 19. Jahrhundert die ästhetische Nobilitierung des Mediums in der Anlehnung an Gestaltungsprinzipien der impressionistischen Malerei suchte. Das Ergebnis sind keine Trompe-l’œils; erzeugt wird nicht die Illusion realer Ansichten, sondern eine verblüffende Ähnlichkeit zu echten Fotografien. Dabei ist das Wissen um die Mediendifferenz – dass es sich tatsächlich um von Hand aufgetragene Ölfarbschichten handelt – durchaus entscheidend.
Wie in vielen anderen fotorealistischen Gemälden ist in Central Savings die komplexe Reflexionsstruktur auffällig. Die Ansicht eines menschenleeren Bar-Interieurs wird überlagert von Spiegelungen von Häuserfassaden, Leuchtreklamen, Passanten. Das geht so weit, dass für manche Ausschnitte kaum zu bestimmen ist, in welcher Raumebene die visuellen Details zu verorten sind. Die Betrachtung wird zum kontemplativen Enträtseln der repräsentativen Struktur. Auf diese Weise wird das Regime der Repräsentation unterwandert, für dessen plakatives Paradigma der Fotorealismus zunächst gehalten werden könnte. Die gezeigten Gegenstände wirken fast zufällig: Ob dieser oder jener Schriftzug ins Bild gerät, wie viele und welche Passanten vorbeieilen, spielt für das Funktionieren von Central Savings keine entscheidende Rolle. Der Hyperrealismus kippt so in sein Gegenteil.
Und doch ist das Bild auch inhaltlich in der Welt verankert, aus der es stammt. Es legt Zeugnis ab von der urbanen Visualität einer amerikanischen Metropole in einer bestimmten historischen Zeit. Derart gelingt Central Savings, wie einigen anderen Meisterwerken des Fotorealismus, der Spagat zwischen Abstraktion und Repräsentation, zwischen reiner Oberfläche und doppelter – räumlicher wie sozialer – bildlicher Tiefe.