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Galerie-Bild

Bild des Monats Juni 2012:
RAPSODIA SATANICA (Nino Oxilia, I 1917)

Die Abbildung stammt aus dem Film Rapsodia Satanica, den man als eine freie Adaption von Goethes Faust betrachten kann. Die Heldin, Gräfin Alba D’Oltrevita, kann sich nicht mit ihrem Alter abfinden. Der Teufel verspricht ihr ewige Jugend, wenn sie im Gegenzug auf die Liebe verzichtet. Alba akzeptiert und wird wieder jung. Tristano und Sergio, zwei Brüder, verlieben sich in sie. Alba, von Tristano verführt, liebt diesen, altert deshalb und stirbt vor Schmerz aus unerwiderter Liebe. Im Bild sieht man sowohl die qualvoll leidende Schauspielerin wie auch den Teufel, der hinter einer Glastür schadenfroh auf die Kapitulation der Heldin wartet. Dieses verweist auf die von den frühen Kinematographen erprobte Möglichkeit des Films, das Leben nachzuempfinden und es auf Filmstreifen zu bannen.

Die Mise-en-scène der Rapsodia Satanica gibt eine ausserzeitliche und symbolische Dimension wieder: Die Kostüme, der Schmuck, das Dekor, die gesamte Dingkonstellation des Films sowie die Farben, die durch Virage bzw. Tonung hergestellt werden, evozieren eine Märchen- und Traumatmosphäre. Dies lässt sich auch am orientalischen Gürtel der Darstellerin zeigen, der durch mit Schablone aufgetragene goldene Farbe hervorgehoben ist.

Ausgehend von Studien Gilles Deleuzes’ und Gaylyn Studlars sprach Valeria Festinese diesem und anderen sogenannten Diva-Filmen eine masochistische Ästhetik zu, eine Ästhetik, die auf einer extremen visuellen Ausgestaltung und einer zermürbenden Erwartungshaltung der ZuschauerInnen beruht. Die filmische Narration und die visuellen Komponenten wirken zusammen, um masochistische Wünsche der ZuschauerInnen zu befriedigen. Das Weibliche ist in dieser Perspektive kein Objekt unter der Kontrolle des männlichen Blicks, wie es die klassische und feministische Filmtheorie nahelegt, sondern eine Figur, welche die Zuschauerinnen zur Identifikation einlädt und männlichen Zuschauern ein Gefühl der Unterwerfung vermittelt.

In Rapsodia satanica wechselt Lyda Borelli zwischen einer majestätischen Gestik, die aus dem Theater des 19. Jahrhunderts stammt, und einem sachlicheren und nüchterneren Stil, dessen Reduktion von zeitgenössischen Tanzexperimenten beeinflusst war. Die Präsenz der Schauspielerin, eines berühmten Filmstars der 1910er Jahre, wird in einzelnen Momenten vom Regisseur hervorgehoben, in anderen scheint sie zum rein graphischen Element geworden zu sein. Im letztgenannten Fall rücken die Tiefenschärfe, die seitliche Stellung der Schauspielerin zur Kamera und die Farben den Körper in den Vordergrund, der vor allem die Arme und das Mienenspiel benutzt, um den inneren Schmerz der Figur darzustellen.

Rapsodia Satanica markiert einen wichtigen Schritt zur kulturellen Legitimierung des Kinos: Der Film wurde von den Produzenten als eine poetische, malerische, dramatische und musikalische Fantasie definiert, als ein Gesamtkunstwerk. Wiederentdeckt in den Archiven der Cinématheque Suisse gilt die Rapsodia Satanica als eine der originellsten und faszinierendsten Leistungen des Stummfilms der 1910er Jahre.

Mattia Lento