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Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind ein Förderungsmittel des Schweizerischen Nationalfonds.
Galerie-Bild

Bild des Monats August 2012:
Frühe Filmprojektionen

Zu den frühesten Motiven projizierter Filme gehörten Eisenbahnen, die in Richtung Kamera – also auch auf die Betrachter zu – in einen Bahnhof einfahren. Hier abgebildet sind Standbilder aus dem bekanntesten dieser Filme, L’Arriveé d'un train à la Ciotat von 1895. Anekdoten zufolge wirkten Aufnahmen einfahrender Züge auf die Betrachter so realistisch, dass sie während der Vorführung schreiend davonrannten.

Neuere filmhistorische Untersuchungen haben zwar gezeigt, dass es keinerlei Quellen gibt, die solche Vorfälle tatsächlich bestätigen, dennoch zeugt die Kolportierung dieses filmischen Ursprungs-Mythos von den starken Präsenz-Effekten früher Filmvorführungen. Der Eindruck, während der Filmvorführung im dargestellten Raum selbst anwesend zu sein, gehört zu den festen Topoi in Beschreibungen der ersten Filmvorführungen. Auch wird der dreidimensionale Charakter der Filmbilder, der dargestellte Objekte scheinbar aus dem Bild heraustreten lässt, oftmals hervorgehoben. Dieser Diskurs um filmische Präsenz-Effekte wird in der Folge auch von der Werbung aufgegriffen, etwa bei der oben gezeigten ganzseitigen Werbeanzeige der Edison Company in einer deutschen Varietézeitschrift von 1906 (Varietétheater waren bis in die 1910er Jahre ein wesentlicher Spielort für Filme). Sie rekurriert noch einmal auf den Ursprungs-Mythos des filmischen Mediums, indem die Vorführung eines Films mit einfahrendem Zug abgebildet wird.

Mehrere Dinge fallen auf: Das Publikum reagiert nicht entsetzt, sondern eher zivilisiert-interessiert. Obwohl die Lokomotive die Grenzen der Leinwandrahmung nicht übertritt (der Zeichner scheint im Gegenteil darauf bedacht gewesen zu sein, die untere Kante genau an die Rahmung grenzen zu lassen), entsteht der Eindruck, sie überwinde die ontologische Grenze der Filmleinwand und fahre tatsächlich in den Zuschauerraum hinein. Dies liegt vor allem an der deutlichen Hervorhebung des Lichtstrahls, der von dem – ebenso stark in den Mittelpunkt gerückten – Projektionsapparat ausgeht und der die Lokomotive gleichsam in den Zuschauerraum zu ziehen scheint (hält man ihn verdeckt, verschwindet der Eindruck sofort). Die Abbildung zeugt mithin von einem Bewusstsein dafür, wie eng der Eindruck von Lebendigkeit und Präsenz der Filmbilder mit der suggestiven Wirkung des Projektionslichts zusammenhing. Indem sie das Licht als Medium zwischen Apparat und Bild, zwischen Bild und Betrachter inszeniert, weist die Abbildung die filmische Projektion und die mit ihr verbundene Evozierung von Präsenz-Effekten als mediale Prozesse aus.

Standbilder aus dem Film L’Arriveé d'un train à la Ciotat (Louis Lumière, FR 1895) / Detail einer Werbeanzeige der Edison-GmbH (Deutschland 1906) mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Stadtmuseum Berlin

Daniel Wiegand