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Bild des Monats Juni 2014:

Zwischen Stimme und Klang


Ich bin das brochne Rohr: O Herr / erhalte mich, lautet der erste, an Jesaja 42,1 anklingende Vers des Passionssonetts Auf den / meinem Heiland gegebenen / Rohrstab von Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694).

Ein schillerndes, von Umdeutungen geprägtes Sprachbild eröffnet sich: Der Rohrstab mit dem Essigschwamm verwandelt sich zunächst in das geknickte Schilfrohr als Sinnbild der Bedürftigkeit, dann in einen durch den heiligen Geist inspirierten Mund. Schließlich soll das Rohr aus Christi Seitenwunde mit Blut gefüllt werden, um zum prädestinierten Lobinstrument zu mutieren. Das lyrische Ich oszilliert zwischen Objekt und Subjekt: Es will nicht bloß durch göttlichen Hauch zum Klingen gebracht, sondern als Instrument gleichsam eucharistisch transformiert werden. In solcher Teilhabe am Gotteslob gewinnt das Ich selbst mediale Funktion.

Die Dichterin, die sich an anderer Stelle als Lob-erklingende Syringe bezeichnet, mag dabei auf eine spezifische Lesart der Ovidschen Syrinx-Metamorphose zurückgreifen. Ein Holzschnitt zur Ovid-Ausgabe von Jacob Micyllus zeigt die Nymphe als singendes Kompositwesen im Moment der Metamorphose – eine höchst unübliche Ikonographie, bedingt die Verwandlung ins klingende Schilfrohr doch Syrinx’ Entsubjektivierung. Damit erfasst die Darstellung ex negativo die paradoxen Folgen der Metamorphose: Die Nymphe verliert ihre Stimme, wird aber gerade dadurch zum Klangkörper, zum Instrument Pans und – in christlicher Exegese – des Gotteslobes. Im calamus (Schilf-, aber auch Schreibrohr), dem Fluchtpunkt dieses paradigmatischen Mythos medialer Transgression, findet Greiffenberg die Verschränkung von Objekt- und Subjektstatus widergespiegelt.

Greiffenbergs Dichtung rekurriert jedoch auch auf naturwissenschaftliche Diskurse. In Athanasius Kirchers Enzyklopädie Musurgia universalis etwa heißt es zu den musikalischen Proportionen des harmonisch klingenden Kosmos, auf ieglichen orbibus sitze eine Syren / so da singe und musicire / anzeigend / wann die Himmels-Kreise beweget werden. Nicht nur spekulativ, sondern wahrnehmbar zum Erklingen gebracht werden könnten, so Kircher, die Rohr-gewächs, da sie mit ihren Gelencken wunder-harmonisch zugerichtet. Im Rohrstab verbindet sich Greiffenbergs zwischen Klang und Stimme oszillierende Poesie mit dem Selbstlob der göttlich geordneten Schöpfung.

Quellen:
Pvb. Odivii Nasonis Metamorphoseon libri XV, hrsg. von Jakob Micyllus, Leipzig 1582, S. 71.

Athanasius Kircher: Oedipus Aegyptiacus etc., Rom 1652–54, Bd. II, S. 204; Musurgia universalis sive ars magna soni et dissoni, Rom 1650, Bd. II, S. 411f.; Musurgia universalis, deutsche Teilübersetzung von Andreas Hirsch, Schwäbisch Hall 1662, S. 268 u. 303.

Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte, Nürnberg 1662, S. 151; Des (...) Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen, Nürnberg 1672, S. 548.



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