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Galerie-Bild

Bild des Monats Juni 2015:

WEDAD (Fritz Kramp, Ägypten 1936)


Das Standbild entstammt dem Spielfilm Wedad von 1936, der aufgrund seines Produktionsorts und des ägyptischen Casts als ägyptischer Film gilt, obwohl ein Deutscher Regie führte. Während die klassische Cadrage und die perfekte Ausleuchtung des Bilds suggerieren, es sei im europäischen oder amerikanischen Kulturraum produziert worden, mutet die Kostümierung exotisch an und verweist auf eine diegetische Welt, die an die Erzählungen aus ‹Tausendundeiner Nacht› erinnert.

Der Film Wedad zeichnet sich filmhistorisch durch zwei Besonderheiten aus: Als einer der ersten ägyptischen Tonfilme steht er exemplarisch für den Übergang zum Tonfilmzeitalter, welches das ‹Goldene Zeitalter› des ägyptischen Films einläutete. Außerdem war Wedad der erste Spielfilm Afrikas, der in Europa gezeigt wurde. Der Film, der in Ägypten große Erfolge feierte, löste in Europa allerdings sehr unterschiedliche Reaktionen aus. So lobte der Berliner Journalist Fritz Olimsky, mit Wedad sei den Ägyptern «im großen Stil ein Zeitgemälde gelungen, das als Erstlingswerk geradezu erstaunlich genannt werden muss» (Olimsky, Kinemathek, S. 144), während die britische Filmzeitschrift ‹Sound and Sight› schrieb, der Filmstil sei «too crude and the story too naïve» (Monthly Film Bulletin, S. 156). Warum verzückte beziehungsweise spaltete der Film?

Das auffälligste Merkmal (und ein großer Kritikpunkt) des Films ist seine «scheinbare Eintönigkeit der Musik und Gesänge» (Kramp, Kameraschüsse, S. 3). Die von der Hauptdarstellerin gesungenen Lieder, die jeweils bis zu acht Minuten dauern, vereinnahmen insgesamt knapp ein Drittel der gesamten Filmlänge. Der Gesang ist im ‹Maqam› genannten Modus der arabischen Kunstmusik verfasst, der bei Zuhörern des arabischen Sprachraums Begeisterung, Verzückung und sogar Ekstase auslösen kann – Gefühlsausbrüche, die für Europäer, die heptatonische Tonleitern gewohnt sind, kaum nachvollziehbar sind. Eine andere Perspektive auf die Gesänge ergibt sich aus der zentralen Rolle ihrer Interpretin, der Sängerin Umm Kalthoum, die in den 1930er Jahren zu einem Star der arabischen Welt avancierte. Der Film stellt Umm Kalthoums Status der Diva ostentativ aus, in dem er lange, ungeschnittene, frontal gefilmte Gesangspassagen, die wie Ausschnitte eines abgefilmten Konzerts anmuten, zur Schau stellt. Für viele Fans boten diese Filmsequenzen die Chance, erstmals das Gesicht zur Stimme aus dem Radio zu ‹erleben›. Im Überschreiten der kulturellen Grenzen implodiert jedoch der Starstatus. Das verzückte Zuhören und Zusehen wurde jenseits der arabischen Welt bei manchen europäischen Zuschauern zum neugierigen Erhaschen einer als authentisch erlebten, orientalischen Stimmung, bei anderen zu einer als «rather tiring» (Monthly Film Bulletin, S. 156) empfundenen Filmerfahrung. Im Gegensatz zu den Europäern empfanden die ägyptischen Zuschauer die Liedbeiträge in Wedad wohl eher als kurz. Denn was die europäischen Zuschauer nicht wussten: Umm Kalthoums Lieder dauerten bei ihren Konzerten jeweils zwischen 30 Minuten und 3 Stunden, je nachdem, ob die Zuschauer sie zum Weitersingen oder zum Aufhören animierten.

Das Beispiel zeigt, wie der Film Wedad als erstes audiovisuelles Selbstzeugnis der Ägypter in Europa aufgrund seiner medialen Eigenschaften Stimmungen und Assoziationen weckte, die sich stark von jenen in Ägypten unterschieden. Daher ist es sinnvoll den der Bildgestaltung nach zunächst konventionell erscheinenden Film als Summe seiner medialen Bedingungen und Bezüge zu denken, um Fragen nach Rezeptionsunterschieden im Spannungsfeld Ägypten-Europa aufzuwerfen.


Bildquelle:

Filmstil aus dem Spielfilm Wedad von 1936, in: The Golden Age of Egyptian Film Cinema, Cairo 1936-1967, Cairo/ New York: The American University Press, 2008.



Literatur:

Fritz Olimsky, Deutsche Kinemathek Berlin, Orig.s. 4.3-89/3 [VAR], 11, S. 144–145, Artikel aus dem Nachlass Fritz Olimskys, vermutlich erschienen im Berliner Börsenblatt (1936).

N.N., Wedad the Slave, in: Monthly Film Bulletin. Jan 1 (1936), 3,25; Periodicals Archive Online, S. 156.

Fritz Kramp, Kameraschüsse aus Ägypten, in: Film-Kurier, 132 (9.6.1936), S. 3.



Henriette Bornkamm