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Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind ein Förderungsmittel des Schweizerischen Nationalfonds.
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Bild des Monats April 2011:
Stigmatisierung: Von der Evidenz des Unaussprechlichen

Sie fühlte nach der Stigmatisation eine Veränderung in ihrem Körper, es war, als wendete sich ihr Blutumlauf, und dringe mit heftigem Ziehen nach den Malstellen hin. Sie sagte selbst: «es ist dies unaussprechlich.»
Clemens Brentano über Anna Katharina Emmerick

Auserwählte sind Grenzgängerinnen und Gesandte. Als Reisende zwischen verschiedenen Sphären und Zeiten folgen sie dem Muster von Prophezeiung und Erfüllung, sie vollziehen den Übergang vom Vorbild zum Abbild. An ihnen werden so vielfältige Übertragungsvorgänge sichtbar, die sie als mediale Gestalten kenntlich machen.
Unter den Auserwählten geschieht dies in besonders augenfälliger Weise bei Stigmatisierten, die als Verkörperungen spezifischer Übertragungsprozesse gelesen werden können. In der physischen Existenz der blutenden Wundmale Christi am Körper der Gezeichneten wird nicht nur ihre Auszeichnung vor anderen fassbar, es zeigt sich zugleich auch die Bezugnahme auf das Vorbild: den ersten Stigmatisierten, den Heiligen Franz von Assisi. In dieser Beziehung wiederum enthalten ist der Rückbezug auf das Urbild und die Einordnung der eigenen Erwählung in der Nachfolge Christi.
Stigmatisierte erzählen ihre Auserwählung, erzählen Übertragung und Überlieferung mit dem eigenen Körper: Ihre Stigmatisierung ist Ereignis, Erwählung und Erzählung zugleich. Da ihre Visionen und Symptome den Ereignissen des Neuen Testaments in der Chronologie des Kirchenjahres folgen, sind sie vorhersehbar. Nicht die Wunden und Visionen, sondern die Stigmatisierten selbst müssen gedeutet werden. Das Phänomen der Stigmatisierung verlangt daher in seiner Unaussprechlichkeit notwendig nach einem Anderen, einem lesenden Gegenüber, mit dem die Auserwählte in Wechselwirkung steht und das als Übersetzer und Deuter ein unverzichtbarer Teil des Phänomens ist.
Für die stigmatisierte Anna Katharina Emmerick war der romantische Dichter Clemens Brentano ein solches Gegenüber. Ihm gelang als Übersetzer ihrer unaussprechlichen Erfahrung sein erfolgreichstes Werk.

Bild: bpk / Bayerische Staatsgemäldesammlungen - Neue Pinakothek München

Xenia Goslicka